Ist Gladiatur Sport?

von Svenja Fabian

Viele Wissenschaftler haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob Gladiatorenkämpfe als Sport anzusehen und Gladiatoren also Sportler bzw. Athleten sind. Die Meinungen der Gelehrten gehen dabei natürlich auseinander, ihre unterschiedlichen Standpunkte will dieser Beitrag beleuchten sowie Schlüsse ziehen, welcher Standpunkt für die Autorin am folgerichtigsten erscheint.

Was ist ein Gladiator?

Zunächst einmal gilt zu klären, was ein Gladiator eigentlich ist. Denn gerade in älteren (populär-)wissenschaftlichen Werken und vor allem in Filmen wird dieses oft nicht korrekt wiedergegeben. Das Wort „Gladiator“ bedeutet eigentlich nichts anderes als Schwertkämpfer. Gladiatoren erhielten Unterkunft, Training, Mahlzeiten und medizinische Versorgung im ludus, der Gladiatorenschule, damit sie in ihrer jeweiligen Kampfgattung entsprechend ausgebildet gegen einen Gegner bei einem munus, einer Veranstaltung im Amphitheater, antraten. Normalerweise waren es Zweikämpfe, nur selten kam es vor, dass auch mehrere Paare gleichzeitig im sogenannten gregatim (Gruppengefecht) gegeneinander kämpften. Seit der Reform des Kaisers Augustus galt eine Dreiteilung des Programms im Amphitheater für imperiale munera: morgens venationes (Tierkämpfe), entweder Tier gegen Tier oder Tier gegen ausgebildeten Tierkämpfer (bestiarius oder venator); mittags Hinrichtungen von zum Tode verurteilten Verbrechern, die mitunter sehr fantasievoll gestaltet waren, die aber eigentlich nichts anderes als ein Hinschlachten der Verurteilten waren. Diese Art Darstellung kritisiert Seneca in seinem siebten Brief. Nachmittags traten dann als Höhepunkt die Gladiatoren an, wie schon erwähnt, meistens in Zweikämpfen in ebenfalls durch die Reform von Augustus festgelegten Gattungen. Wichtig war, dass die Chancen den Kampf zu gewinnen, ausgeglichen sein mussten. Dieses galt überwiegend nur für die munera in Rom, in den Provinzen konnte es vorkommen, dass es vielleicht nur Tierkämpfe und gar keine Gladiatoren zu sehen gab, oder nur Gladiatoren. In Filmen werden aber gerne venationes mit Hinrichtungen und Gladiatorenkämpfen in einen Topf geworfen. Bei der folgenden Analyse geht es aber nur um die Gladiatoren, nicht um venatores und bestiarii und schon gar nicht um zum Tode verurteilte Verbrecher.

Was ist Sport?

Ein anderer Begriff, den es zu klären gilt, ist natürlich „Sport“. Dieses ist natürlich ein moderner, aus dem englischen Sprachraum stammender Begriff, der von disport („Zeitvertrieb“) und to disport („sich vergnügen“) abgeleitet ist, was wiederum vom altfranzösischen soi deporter („Kurzweil haben“) herkommt, dessen Wurzel das lateinische deportare („amüsieren“) ist (Junkelmann 2008).

Der Sporthistoriker Allen Guttmann stellt folgende Grundkriterien auf, die Sport auszeichnen: 1) Weltlichkeit, 2) Chancengleichheit, 3) Rollenspezialisierung, 4) Rationalisierung, 5) Bürokratisierung, 6) Quantifizierung, 7) Suche nach Rekorden (Guttmann 1979). Michael B. Poliakoff definiert Sport so, dass es einen Gegner haben muss. Jogging zählt für ihn nicht, solange man nur joggt, um fit zu werden. Erst wenn man gegen die Uhr läuft, um sich mit anderen zu messen, gilt es für ihn als Sport. (Kampf-)Sport muss festgelegten Regeln und Abläufen folgen. Man wetteifert mit dem Ziel, in dem Kampf zu siegen (Poliakoff 1989).  Donald G. Kyle definiert Sport als eine öffentliche, physische Aktivität, die insbesondere mit wetteifernden Elementen betrieben wird, um zu siegen oder um Spitzenleistungen zu zeigen (Kyle 2007). Heutzutage ist Sport aber zu einem Oberbegriff geworden, der jegliche Art körperlicher Bewegung bezeichnet (Müller 1995).

Weiter unten werden wir betrachten, wie diese unterschiedlichen Definitionen auf die Gladiatur angewandt werden und ob Gladiatoren für die Wissenschaftler denn nun Sportler sind. Zuerst möchte ich aber den Blick noch einmal auf die Antike lenken, wie denn die antiken Dichter und Denker über das Gladiatorenwesen dachten.

Das Relief aus Rom, gefunden im Tiber, datierend auf das 1. Jh. v. Chr., zeigt zwei Provocatores. Der linke in Siegerpose, der rechte hat aufgegeben, weil er den Schild auf den Boden gestellt hat

Wie sieht Seneca die Gladiatoren?

Die Wissenschaftlerin Heather Reid hat sich eingehend mit der Philosophie des Sports auseinandergesetzt, so z. B. auch mit den antiken und modernen Olympischen Spielen. In zwei Aufsätzen beleuchtet sie die Einstellung des römischen Philosophen Lucius Annaeus Seneca zu dem virtus, den Gladiatoren in der Arena des Amphitheaters zeigen (Reid 2006 und 2010). Seneca der Jüngere war ein Stoiker, und für die Stoiker war die römische Tugend des virtus durch den Gladiator, der in der Arena um sein Leben focht, am besten repräsentiert. Virtus lässt sich nur schlecht ins Deutsche übersetzen, am ehesten noch mit Mannhaftigkeit, es setzt sich aber aus folgenden moralischen Qualitäten zusammen, die der Gladiator alle erfüllt: fortitudo (Stärke, Tapferkeit), disciplina (Disziplin und Training), constantia (Festigkeit), patientia (Ausdauer), contemptus mortis (Todesverachtung), amor laudis (Ruhmesliebe) und cupido victoriae (Siegeswillen) (Junkelmann 2008). Seneca stellt die Gladiatoren über die Athleten, weil letztere nur auf das nächste Ziel fokussiert wären, während der Gladiator virtus zeigt, weil er dem Tod unverzagt ins Auge blickt, auch wenn er gegen seinen Kameraden kämpfen muss, mit dem er Speis und Trank teilt. Auch Cicero rühmt den Mut und die Todesverachtung der Gladiatoren. Es ist aber ziemlich unwahrscheinlich, dass die Gladiatoren sich selbst so wahrnahmen, denn sie dürften in den allerwenigsten Fällen mit der Lehre der stoischen Philosophie vertraut gewesen sein. Doch wie stellten sich Gladiatoren selbst dar?

Das Relief von Lusius Storax aus Chieti, datierend auf das 1. Jh. n. Chr., zeigt mehrere Paare. Der 2. von links gibt auf, das typische Zeichen mit dem erhobenen Finger, während die beiden rechts noch im Kampf sind.

Wie sahen sich die Gladiatoren selbst?

Der Historiker Christian Mann hat eingehend die Grabmäler von Gladiatoren im Osten des Römischen Reiches untersucht und dabei festgestellt, dass sie in der Art und Weise des Präsentierens denen von griechischen Athleten ähneln. Sie verwenden auf den Grabinschriften der griechischen Athletik entlehnte Termini wie z. B. pyx bzw. pyktes als Übersetzung des lateinischen Wortes gladiator, während auf offiziellen Inschriften das Wort monomachos verwendet wurde. Sie heben sich aber von den Athleten ab und betonen das Gladiator-Sein, indem ihre Waffen auf dem Grabstein abgebildet sind oder mit der Inschrift „Nicht ein Kranz steht auf dem Spiel, sondern um das Leben kämpfen wir.“ Die Gladiatoren stellten jedoch keine Konkurrenz zu den griechischen Athleten dar, denn die Ausbreitung der Gladiatorenkämpfe verdrängte keineswegs die Agonistik. Ebenso blieb der soziale Abstand gewahrt, Athleten kamen aus der Oberschicht, während Gladiatoren zumeist Sklaven waren und außerdem mit der infamia (Art gesellschaftliche Ächtung) versehen waren (Mann 2011).

Sport oder kein Sport?

Ob die Gladiatur nun nach modernen Gesichtspunkten als Sport anzusehen ist, darüber gehen, wie schon eingangs erwähnt, die Meinungen der Wissenschaftler auseinander. Wenn man die sieben Kriterien von Guttmann zu Grunde legt, kommen sowohl Müller als auch Junkelmann zu dem Schluss, dass das Gladiatorenwesen alle sieben Punkte erfüllt.

Weltlichkeit: auch wenn die Gladiatur einen religiösen Ursprung hatte, so war davon in der Kaiserzeit nichts mehr zu spüren. Vielmehr dienten die Gladiatorenkämpfe dazu, die römische Staatsideologie zu verbreiten.

Chancengleichheit: Die Gladiatoren waren zwar unterschiedlich bewaffnet, aber die spätestens seit Kaiser Augustus reglementierte Paarungszusammenstellung garantierte, dass die Chancen für beide Kämpfer ausgeglichen waren.

Rationalisierung: Gladiatoren lebten in Gladiatorenschulen, wo sie unter speziellen Trainingsmethoden ausgebildet wurden und Verpflegung, Unterkunft und medizinische Versorgung erhielten.

Rollenspezialisierung: Ein Gladiator kämpfte meistens nur in einer Gattung oder höchstens in verwandten Gattungen, wie provocator und murmillo oder secutor.

Bürokratisierung: Eine Gladiatorenschule wurde von einem lanista geleitet, die kaiserlichen Schulen von einem procurator. Diese vermieteten ihre Gladiatoren an den editor (Spielegeber). Kaiser Marcus Aurelius erließ auch ein Edikt, in dem er die Höchstpreise für Gladiatoren festlegte, da die Preise dafür in die Höhe geschossen waren und sich Beamte, die zum Ausrichten von Spielen verpflichtet waren, über die hohen Summen beklagten.

Quantifizierung: Hier kann man sowohl die Teilnehmerzahl, die für einige munera durch Inschriften oder literarische Erwähnungen bekannt sind, zählen (Müller 1995), als auch die Auflistung der jeweiligen Kämpfe oder Siege eines Gladiators, sowohl auf seinem Grabstein als auch in den Graffiti (Junkelmann 2008).

Suche/Jagd nach Rekorden: Auch hier kann man wieder die Auflistung der Kämpfe anführen (Junkelmann 2008), aber auch die immer aufwendiger gestalteten munera mit immer mehr Gladiatorenpaaren über immer mehr Tage ausgedehnt wären eine Erfüllung dieses Kriteriums, wenn auch eher von Veranstalterseite aus gesehen.

Das Mosaik aus Nennig, datierend auf die 1. Hälfte des 3. Jh. n. Chr., zeigt den Kampf zwischen Retiarius gegen Secutor unter Aufsicht des summa rudis.

Poliakoff schließt in seiner Betrachtung über antiken Kampfsport die Gladiatur davon aus, denn für ihn ist Sport nicht möglich ohne Gegner und ein Verfahren zum Messen von Erfolg. Gladiatoren kämpfen aber mit dem Ziel, ihre Gegner zu töten oder kampfunfähig zu machen, und somit sind für ihn die Gladiatorenkämpfe „eine Art Krieg für Zuschauer“ (Poliakoff 1989).

Kyle sieht Wettbewerb ebenfalls als einen wichtigen Bestandteil von Sport, der für ihn eine öffentliche, physische Aktivität ist, die betrieben wird, um einen Sieg zu erringen oder hervorragende Leistung zu zeigen. Gladiatorenkämpfe erfüllen diese Bedingungen, da durch die ausgewogen zusammengestellten Paarungen der Kampf unvorhersagbar und damit unterhaltsam bleibt. Die Römer wurden Sportfans, die geschickte Vorführungen zu würdigen wussten. Die Gladiatur ist ein Zuschauersport (spectator sport), was aber durchaus nicht negativ zu sehen ist. Zuschauerspektakel und Sport schließen sich für Kyle nicht aus, im Gegenteil, er sieht sie als Verbündete (Kyle 2007).

Der größte Kritiker der Gladiatur als Sport ist der Historiker Gerhard Horsmann, denn für ihn hat Sport natürlich etwas mit körperlicher Aktivität zu tun, aber eben auch mit etwas, das aus der Alltagswelt wegträgt, eine Form des Spiels ist. Deshalb kann die Gladiatur kein Sport sein, da die ad-ludum-Verurteilten und Sklaven um ihr Leben kämpfen, in jedem Kampf, aber auch auf längere Sicht für eine Rückkehr in ein freies Leben. Freiwilligkeit und Mindestmaß an Spiel muss enthalten sein, und beides ist bei der Gladiatur nicht der Fall, selbst die auctorati zeichnen in den meisten Fällen einen Kontrakt mit einem lanista und sind somit auch wieder sklavenähnlich. Außerdem kalkuliert die Gladiatur Verletzungen oder Tod mit ein, was im Sport nur ein Unfall, aber nie das Ziel sein kann (Horsmann 2001).

Fazit

Die meisten Wissenschaftler sehen die Gladiatorenkämpfe als einen antiken Sport an. Insbesondere Junkelmann sieht auch in der von Horsmann kritisierten Brutalität kein Ausscheidungskriterium. Er konstatiert, dass die meisten Wissenschaftler die ebenfalls brutale griechische Schwerathletik, insbesondere Pankration, als Sport ansehen. Junkelmann sieht in dem Fechten mit scharfen Waffen nur einen graduellen Unterschied in der Brutalität. Das, was die Gladiatur so einzigartig macht, ist, dass das Todesurteil durch den Spielegeber nach dem eigentlichen Kampf gesprochen werden konnte, was der unterlegene Gladiator dann auch ohne Klagen hinzunehmen hatte.

Die von einigen ins Feld geführte Freiwilligkeit beim Sport sieht Junkelmann nicht als Kriterium an, denn diese ist auch bei so etwas banalem wie Schulsport nicht unbedingt gegeben, und bei Berufssportlern ist sie ebenso nicht mehr vorhanden, auch wenn sie sich diesen Beruf freiwillig ausgesucht haben. Die Autorin schließt sich daher der Meinung Junkelmanns an: Die Gladiatur war durchaus eine Sportart, wenn auch eine sehr einzigartige, die nichts Vergleichbares kennt, weder in der Antike noch in der Moderne (Junkelmann 2008).

Verwendete Literatur

Guttmann, A.: Vom Ritual zum Rekord. Das Wesen des modernen Sports, (Reihe Sportwissenschaft; Bd. 14), Schorndorf 1979.

Horsmann, G.: Sklavendienst, Strafvollzug oder Sport? Überlegungen zum Charakter der römischen Gladiatur, in: Bellen/Heinen (Hrsg), Fünfzig Jahre Forschung zur antiken Sklaverei an der Mainzer Akademie 1950-2000, Stuttgart 2001.

Junkelmann, M.: Gladiatoren. Das Spiel mit dem Tod, Mainz 2008.

Kyle, D.G.: Sport and Spectacle in the Ancient World, Malden 2007.

Mann, Chr.: “Um keinen Kranz, um das Leben kämpfen wir!“ Gladiatoren im Osten des Römischen Reiches und die Frage der Romanisierung, Berlin 2011.

Müller, St.: Das Volk der Athleten. Untersuchungen zur Ideologie und Kritik des Sports in der griechisch-römischen Antike, Trier 1995.

Poliakoff, M.B.: Kampfsport in der Antike. Das Spiel um Leben und Tod, München 1989 (eng. Original: Combat Sports in the Ancient World. Competition, Violence and Culture, New Haven 1987).

Reid, H.: Was the Roman Gladiator an Athlete?, in: Journal of the Philosophy of Sport 33 (2006), S. 37-49.

Reid, H.: Seneca’s Gladiators, in: Sport, Ethics and Philosophy Vol. 4, No. 2 (2010).

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