von Patrick Tarner
Aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit sind teils kuriose und erstaunliche Waffen überliefert, welche jedoch heute kaum mehr bekannt erscheinen. Heute soll ein solches Objekt vorgestellt werden, das hauptsächlich der Selbstverteidigung diente und besonders durch seine einfache Herstellungsweise besticht: Das Wurfkreuz. Hierbei handelt es sich um schmiedeeiserne Kreuze, deren Gestaltung zunächst an Grab- oder Kirchenkreuze erinnert. Jedoch sind die jeweiligen Enden sehr spitz ausgeschmiedet und daher zum Schlag, Stoß oder Wurf geeignet. Häufig weisen die Wurfkreuze zudem einfache Verzierungen auf. Originale haben sich in geringer Zahl in Museen sowie in Privatsammlungen erhalten (z.B. hier).
In den Schriftquellen taucht das Wurfkreuz erstmals und insbesondere im frühen 16. Jhd. auf. Meist ist es negativ behaftet und Dieben oder ähnlichen Straftätern zugewiesen. Dies dürfte insbesondere auf seine Funktion als gut zu verbergende und dennoch effektive Nahkampfwaffe zurückzuführen sein. Daher verwundern verschiedene Verbote des Wurfkreuztragens kaum. Die vor 1541 entstandene Stadtordnung von Gotha vermerkt: „[16] Mortliche gewher, als schlachtmesser, eiysern, pleiern ader ehrn kugeln und alle stechende messer ader geweher, wurfkreuz, barten und der gleichen sollen alzeit in der stat zu tragen vorbotten sein […]“ (Strenge/Devrient 1909, 397). 1568 untersagte auch die Stadt Iglau (heute Jihlava, Tschechien) allen Einwohnern das offene oder verborgene Tragen von Waffen, „[…] es sey ein Schwert, Tiseken, Dolch, Flegl, Hämmer, Büchse, bleierne oder eiserne Kugel, Wurfkreuz, Hacken […]“ (Elvert 1850, 243).
In einer Auflistung von Waffen der Wilddiebe nennt die württembergische Wildererordnung von 1588 ebenfalls das Wurfkreuz. Dieses kommt sogar in der stark abgeänderten zweiten Wildererordnung von 1718 noch vor (Wagner 1876, 467; Fischbach 1888, 411). Doch selbst die Wildereistrafgesetze des kgl. Oberamtes Ravensburg vom 26. Juli 1820 erwähnen noch das Wurfkreuz, dessen Verwendung mit dem Tragen einer Schusswaffe gleichgeahndet werden sollte (Spahr 1976, 144). In bestimmten, meist kriminellen Kreisen hat sich das Wurfkreuz also bis in das 19. Jhd. hinein gehalten. An anderer Stelle schien es bereits früher antiquiert zu sein. 1637 lagerte ein Vorrat als veraltet bezeichneter Wurfkreuze und Pikeneisen im Münchner Kurfürstlichen Hauptzeughaus an der Kuhgasse (Fahrmbacher/Feistle 1911, 184).

Neben den Wilddieben führten auch Schmuggler Wurfkreuze mit sich. In der Region des Tesinotals (Südtirol) herrschte im 16. Jhd. eine rege Schmuggeltätigkeit. So wies Michele de Martin aus Castello Tesino 1554 mehrere Personen aus Bassano del Grappa an zu behaupten, dass sie aus dem Tesinotal seien, da jenes als Dank für die Unterstützung Kaiser Maximilians I. gegen Venedig ab 1525 von Zöllen befreit war. Als der Betrug auffiel, kam es zum Streit: „[…] doch letzlich mit etwas ungepürlichen worten den zol bezalt, da hab bemelter Tesiner ain wurfkreuz in der hand über sich gehebt als wol er werfen und gesagt: Er will ain mal die Kofler [Anm. Besatzung der Höhlenburg Covolo di Butistone] lernen was die Tesiner thuen kunnden unnd Jme ain thuckh thun, das er Jne denncken werd.“ (Wassermann 1981, 558). Neben dem historisch überlieferten Namen „Wurfkreuz“, der bereits auf die Funktion hindeutet, zeigt diese Quelle noch einmal explizit die Verwendung zum Wurf auf. Wurde das Wurfkreuz auch in Tirol bald verboten, so hielt es sich doch bis in das 19. Jhd. hinein als Erkennungszeichen der Saltner, von der jeweiligen Gemeinde verpflichteter Wild- und Weinbergshüter (https://www.provinz.bz.it/katalog-kulturgueter/de/suche.asp?kks_priref=330000027).
Abgesehen von Personen aus dem kriminellen Milieu findet sich das Wurfkreuz jedoch zudem als Waffe der Studenten. Aus den Schriften Melanchthons (1497–1560) geht hervor, dass an der Universität Wittenberg in jedem Semester ein kurfürstliches Mandat vorgetragen wurde, welches den Studenten das Waffentragen untersagte: „keine Wehre, es sei Schwert, Messer, Tysäcken, Hessen, Dolchen, Bleykugel, Wurfkreuz, Barten, Flegel, Hämmer, Büchsen, oder wie sie genannt seynd, die sich zu Beleidigung oder Beschädigung des Leibes ziehen möchte.“ (Kehrbach 1889, 480. Vgl. Bauer 1926, 45).
Einen studentischen Mordfall mit einem Wurfkreuz aus dem 16. Jhd. überliefert das lateinische Album Academiae Vitebergensis: „Balthasar Fabri von Gleicherwiesen wurde im Monat Mai [1512] immatrikuliert, verließ aber, wegen seiner schlechten Streiche durch Senatsbeschluss nach Hause geschickt, diese Stadt [Wittenberg], unter dem Verbot während eines Zeitraumes von zwei Jahren nicht zurückzukehren. Er ist jedoch, man weiß nicht aus welcher Veranlassung, am Sonntag, den 3. Oktober Abends heimlich zurückgekehrt, lauerte demselben Rektor Ullrich Erbar, dem er vorher einen Eid geleistet hatte, heimlich auf, überfiel ihn, als er von der Mahlzeit kam, von hinten mit einem eisernen Kreuze [„cruce ferrea“] und verletzte ihn so mit einem Schlag auf den Kopf, dass er am Montag den 11. [Oktober] verschied. Seine Seele ruhe im Frieden Christi, des höchsten und besten Gottes.“ (Übers. d. lateinischen Originals nach Jacob 1895, 58). Dass es sich bei dem eisernen Kreuz tatsächlich um ein Wurfkreuz handelte, belegt ein Eintrag in den Kämmereirechnungen: „2 gr. Tyho Dhenen, burgermeister, hat 1 ferd gelihen dem richter, so er den studenten, den rectoren geworfen mit eim worfkreuze, nachgeeilt“ (Krentz 2014, 112). Die Bemühungen des Richters waren erfolgreich, denn Fabri wurde am 21. Oktober 1512 in Wittenberg enthauptet (Krentz 2014, 112). Das Album Academiae Vitebergensis nennt den Einsatz des Wurfkreuzes als Hiebwaffe.
Weiterhin enthalten die Quellen gelegentlich indirekte Nennungen von Wurfkreuzen. Am 12. Oktober 1551 schrieb Christoph Sturtz, Kanzler des Erzbischofs Wilhelm von Brandenburg, an Herzog Albrecht von Preußen, man habe am 21. Januar in Livland ein schwarzes Kreuz mit breiten stumpfen Ecken im Vollmond gesehen, dieses sei nach einiger Zeit an den Enden spitz und damit einem Wurfkreuz ähnlich geworden (Hartmann 2005, Nr. 1538).
Bemerkenswerterweise fungierte das Wurfkreuz aber auch als Turnierwaffe in höchsten gesellschaftlichen Kreisen. Der Freydal, das Turnierbuch des Kaisers Maximilian I., bildet den Herrscher im geharnischten Fußkampf mit Graf Albrecht von Zollern ab. Albrecht war bereits am 16. Juli 1483 als Feldherr beim Sturm auf Utrecht ums Leben gekommen. Maximilian ließ den Grafen neben seinen Brüdern Eitel Friedrich IV. und dem 1483 bei Dendermonde gefallenen Friedrich Johann durch hervorgehobene Positionen im Turnierbuch ehren (Leitner 1881, 103). Die geharnischten Kämpfer schützen sich mit ihren Schilden, Maximilian hat sein Schwert erhoben. Friedrich Albrecht bewegt sich auf den Kaiser zu, während er mit seinem Wurfkreuz zum Wurf oder Hieb ausholt. In der Oberkante seines Schildes steckt ein von Maximilian geworfenes Kreuz. Die Zeichnung der Washingtoner Nationalgalerie bildet schlichte Wurfkreuze vom klassischen Typus (vierkantige Arme, abgeflachte Schweißstelle) ab. Demgegenüber zeigen die Darstellungen der Holzschnittausgabe augenscheinlich Exemplare mit flachem Querschnitt, welche jedoch einen knaufartigen Griffabschluss aufweisen und so zum Hieb prädestiniert sind.

Der gedruckte Text des Weißkunigs deutet in seinem 44. Kapitel auf die im Freydal abgebildete Waffe hin, welche als Wurfhacke benannt wird: „Wie der jung weiß kunig auf behamisch und husärisch in pafeßen und tärtschl hat lernen fechten. Alspald der jung weiß kunig das ploßfechten begriffen hat, lernet er zustunden zu fueß in der behamischn pafesen und zu roß in dem hussarischn tärtschlein, mit dem lanzl, mit dem sebel, mit der morthackn und mit der wurfhacken fechten und keret darynnen auch gueten vleyss fur und wurde daryn gar maisterlich.“ (Schultz 1888, 100). Es handelt sich bei den Abbildungen des Freydals um die einzigen bekannten bildlichen Darstellungen von Wurfkreuzen.
Die Unscheinbarkeit des Wurfkreuzes mag den Umstand begünstigt haben, dass dieses in Museen oftmals nicht auf den ersten Blick als Waffe identifiziert wurde. Vor dem Hintergrund der Geschichtsverklärung des 19. Jahrhunderts benannte Demmin des Wurfkreuz des Museums Sigmaringen als „Fehmgerichtskreuz […]. Es wurde von den Urteilsvollstreckern gebraucht, um die stattgefundene Fehme anzudeuten. Sie stießen es über dem Gerichteten in den Baum; auch kam es bei der Ladung in Anwendung. In letzterem Falle wurde es in die Thür der Wohnung oder dem Thore der Burg über der angehefteten Ladung eingestoßen.“ (Demmin 1893, 979; Beyler/Griner 1912, 12). Eine solche Verwendung des Wurfkreuzes ist jedoch in keiner Weise nachweisbar. Schon Fischbach erkannte in dem Sigmaringer „Fehmekreuz“ ein Wurfkreuz (Fischbach 1888, 411). Allerdings hält sich die falsche Ansprache als „Fehmekreuz“ teils bis heute.
Häufig sind erhaltene Wurfkreuze mit einer gemeißelten, rautengitterartigen Struktur verziert. Im Falle des Sigmaringer Originals befinden sich im Inneren der Rauten zudem eingepunzte Sterne. Auch zickzackförmige Zierlinien sind mitunter festzustellen. Měchurová deutet Sterne auf mittelalterlichen Gebrauchsäxten als Verweis auf eine christliche Symbolik (Měchurová 2013, 630). Die Wurfkreuze waren einfach herzustellen, musste der Schmied doch nur zwei spitz zulaufende Vierkantstäbe schmieden und diese im Feuer verschweißen. Dementsprechend wird es sich beim Wurfkreuz um eine sehr preisgünstige Waffe gehandelt haben.
Neben den in den Quellen überlieferten Verwendungen zum Wurf und zum Hieb bietet das Wurfkreuz verschiedene andere Handhabungsmöglichkeiten. So kann ein Ende ähnlich eines Kubotans gebraucht werden. Auch wäre es möglich, die Querstrebe mit der Handfläche zu ergreifen, während die obere Spitze zwischen den Händen hervorsteht, um auf diese Weise eine Art Stichwaffe zu erhalten (https://www.barbarusbooks.de/artikel/die-rüstkammer/wurfkreuz/). Die Kombination der vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten mit den guten Versteckmöglichkeiten der Waffe (die erhaltenen Originale messen meist unter 30 cm Länge) lassen das Wurfkreuz als sehr effektive und gefährliche Waffe zur Selbstverteidigung erscheinen.
Ist das Wurfkreuz in der Waffenkunde nahezu in Vergessenheit geraten, so findet es sich doch unerwartet an ganz anderer Stelle. Der Künstler Joseph Beuys (1921–1986) ließ sich von der Waffe zu seinen 1952 geschaffenen Bronzeplastiken „Wurfkreuze“ inspirieren, bei denen es sich um kreuzförmige Bronzen mit angebauten Stoppuhren handelt, welche die begrenzte Menschliche Lebenszeit symbolisieren sollen (Kriebel 2011, 125).
Literaturverzeichnis
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Krentz 2014: Natalie Krentz, Ritualwandel und Deutungshoheit. Die frühe Reformation in der Residenzstadt Wittenberg (1500–1533). Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 74, Tübingen 2014.
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Wagner 1876: Rudolf von Wagner, Das Jagdwesen in Württemberg unter den Herzogen. Ein Beitrag zur deutschen Kultur- & Rechts-Geschichte (Tübingen 1876).
Wassermann 1981: Pius Wassermann, Der Kofl (Covolo). Eine Tiroler Enklave auf venetianischem Gebiet. Der Schlern 55, 1981, 553–562.
Über den Autor
Patrick Tarner ist Archäologe und Kunsthistoriker. Neben seiner Tätigkeit im Bereich der Denkmalpflege umfassen seine Forschungsgebiete archäologische Metallfunde sowie historische Waffen und Rüstungen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit.