Der Militärsäbel – Geschichte und Praxis

von Heiko Große

Ähnlich wie vom mittelalterlichen Schwert oder dem japanischen Katana, haben die meisten Menschen eine grobe, jedoch recht gute Vorstellung davon, wie ein Säbel auszusehen hat: Eine Hiebwaffe mit gekrümmter Klinge, die einhändig beim Fechten geführt wird. Der Säbel wurde als Blankwaffe weltweit über einen langen Zeitraum militärisch eingesetzt und ist bis heute noch vor allem als repräsentatives Parademodell moderner Armeen in der Öffentlichkeit zu sehen und im olympischen Fechten ist der Säbel als Disziplin immer noch präsent. Er erzeugt in den Köpfen moderner Menschen möglicherweise weniger romantische Vorstellungen, als das mittelalterliche Lange Schwert oder das Fechten mit dem Rapier. Jedoch spielte er militärisch eine sehr große Rolle und kann, im Gegensatz zu beiden genannten eher zivilen Fechtwaffen, seine Bedeutung dort auch klar verorten.

Denn der Säbel war neben Muskete und Bajonett im 18. und 19. Jahrhundert eine der wichtigsten Militärwaffen Europas. Wenn auch die Soldaten mit Schießpulver und Kanonen auf den Schlachtfeldern ihre Arbeit verrichteten, so war der Einsatz blanken Stahls immer noch wichtig, endeten doch viele Kämpfe im Handgemenge. Feuerwaffen waren in dieser Epoche eben keine Präzisionswerkzeuge, vielmehr ging es um Feuerkraft und Feuerrate. So mussten neben der Kavallerie auch Infanterieoffiziere den Umgang mit dem Säbel beherrschen.

Der Ursprung des Säbels liegt u.a. bei den Steppenvölkern Zentralasiens. Insbesondere durch die arabische Expansion verbreitete er sich im ganzen orientalischen Raum bis nach Nordafrika. Der arabische Saif, der osmanische Kilij, der persische Shamshir und indische der Talwar sind die wohl bekanntesten Varianten. Ihre Krümmung wird oft als sehr stark beschrieben, jedoch gibt es auch erhaltene Exemplare mit weniger stark gekrümmten Klingen. Besonders hochwertige Klingen stammten aus Persien und wurden bis nach Indien exportiert. Entgegen der oft geäußerten Annahme waren diese orientalischen Säbel keine reine Reiterwaffe. Zwar hatte der Säbel seinen Ursprung vor allem bei typischen Reitervölkern wie Hunnen und Avaren, aber gerade in Persien, Indien und dem osmanischen Reich wurde er auch von Fußtruppen gebraucht, teilweise sogar im gerüsteten Kampf.

Über den osmanischen Einfluss auf dem Balkan und in Osteuropa gelangte der Säbel rasch nach Europa. Besonders in Polen und Ungarn entwickelten sich schnell eigenständige Typen, die auch von berittenen Truppen wie den berühmten Flügenhusaren gebraucht wurden. Er war Duell- und Kriegswaffe gleichermaßen und prägte die Bewaffnung Europas immens. Die Klingen konnten verschieden stark gekrümmt sein und oft fand man einen Jelman (Yelman), eine Verbreiterung der Klinge zur Spitze hin, welche die Hiebwirkung verstärken sollte. Anfangs mit simplen Kreuzen ausgestattet, entwickelten sich später auch Faustbügel. Eine Besonderheit entstand durch einen Daumenring, der sich auf der Innenseite von Kreuz und Griff befand und die Schnittmechanik verbesserte.

Man muss jedoch dazu sagen, dass der Säbel nicht rein aus dem Osten nach Europa importiert wurde. Im Laufe des 16. Jahrhunderts entwickelte sich aus dem mittelalterlichen Langen Messer der sogenannte Dussak (auch Dusack). Dieser war nicht nur eine hölzerne oder lederne Übungswaffe der Fechtergilden wie den Marxbrüdern und Federfechtern, sondern es gab auch Varianten aus Stahl. Diese waren mit gekrümmten Klingen verschiedener Längen ausgestattet und verfügten über einen Korb-Handschutz. Wie die polnischen Säbel verfügten viele Exemplare auch über einen Daumenring.

Die militärischen Entwicklungen der osteuropäischen Länder hatten im Laufe des 17. Jahrhunderts mehr und mehr Einfluss auf Westeuropas Armeen. Besonders im Bereich der leichten Kavallerie übernahm man das Konzept der Husaren. Einfluss hatten vor allem die kroatischen Reiter, welche auf Seiten der Habsburger im Dreißigjährigen Krieg dienten, aber auch die beeindruckenden Leistungen polnischer Flügelhusaren, wie bei der Belagerung von Wien im Jahre 1683. Dieser starke kroatisch-polnisch-ungarische Einfluss wurde im 18. Jahrhundert immer stärker.

Mit den Husaren kamen die osteuropäischen Modelle des leichten Kavalleriesäbels in den Westen. Schnell wurde das Konzept der leichten Kavallerie adaptiert, auch im Gebrauch des Säbels. Vornehmlich die österreichisch-ungarische Kavallerie beeinflusste dann die weitere Verbreitung von Kavallerietaktiken und Bewaffnung in ganz Europa. In Frankreich, Italien, den deutschen Landen, überall war der Säbel die Waffe der Leichten Kavallerieeinheiten und man beeinflusste sich gegenseitig.

Preußischer M1811, sog. Blücher-Säbel

Dies zeigt sich im Wirken des britischen Kavallerie-Generals und Militärreformers Major-General Jean Gaspard Le Merchant. Seine Erfahrung in den Feldzügen in Flandern in den Jahren 1793-95 machten ihm klar, dass eine Reform der Kavallerie nötig sei, sowohl in Ausbildung als auch Equipment. Großen Einfluss bekam er vor allem von der Kavallerie Österreichs. Gemeinsam mit dem bekannten Schmied Henry Osborn entwarf Le Marchant den Pattern 1796 Light Cavalry Sabre, der ein beliebtes Model auch bei britischen Verbündeten wurde und heute ein beliebtes Sammlerstück ist. Nach Preußen gelangte der 1796er ebenso, wo er als M1811 bekannt wurde. Er trägt bis heute den Spitznahmen „Blüchersäbel“, nach dem berühmten preußischen Generalfeldmarschall von Blücher. Dieser ist nicht umsonst als Denkmal u.a. in Kaub am Rhein mit eben jenem Säbel verewigt worden.

Le Marchant schrieb auch die neuen „Rules and Regulations for the Sword Exercise of the Cavalry“, die alsbald zur Standardausbildung wurden. Während Le Marchant noch den Einsatz verstärkt zu Pferde beschrieb, wurden andere Werke, wie die aus der berühmten Angelo-Dynastie, von Fechtmeistern auch für den Kampf zu Fuß geschrieben. Hierbei vermischten sich Einflüsse des östereichisch-ungarischen Säbels mit der Methodik des Highland Broadswords. Dieses mitnichten rein schottische Hiebschwert mit dem stabilen Korb-Handschutz war auch in England und Irland weit verbreitet und schon seit dem späten 17. Jahrhundert wurde es in Fechtanleitungen wie von Sir William Hope oder Donald McBane beschrieben.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde eine ganze Fülle von Fechtanleitungen zum Broadsdword und Säbel verfasst und publiziert. Charles Roworth, seines Zeichens Drucker sowie Freund der Angelos und passionierter Fechter, veröffentliche 1798 sein „The Art of Defence on Foot, with the Broad Sword and Sabre: uniting the Scotch and Austrian Methods into one Regular System“. Interessant ist die Betonung auf die Vereinigung „schottischer und österreichischer Methoden“ seitens des Autors. Die beschriebene Fechtweise eignete sich sowohl für das genannte Korbschwert, als auch den Kavalleriesäbel und das Spadroon. Letzteres war ein Versuch, die Hieb-Eigenschaften des Broadswords mit den Qualitäten des Stoßdegens zu verbinden, was jedoch der allgemeinen Auffassung nach nicht sonderlich gut gelang. Vielmehr griffen die britischen Offiziere, insbesondere von Flankenregimentern und Plänklereinheiten wie die Leichte Infanterie und Rifles, für die Schlacht lieber inoffiziell auf leicht gekürzte Kavalleriesäbel wie den 1796er zurück.

Französischer M1822 Kavalleriesäbel

Mit dem 1803 British Pattern Officer Infantry Sword kam dann endlich ein standardisierter und vor allem tauglicher Säbel, der auch bis 1821 in Dienst blieb. Einige Offiziere der Royal Navy Marines sollen sich sogar damit ausgestattet haben. Gefochten wurde damit nach standardisierten Drills oder Lessons, wie sie Henry Charles Angelo, Charles Roworth und John Taylor, sowie später auch Thomas Mathewson unterrichteten.

Henry Angelo hatte 1799 zwei Werke veröffentlicht: „The Guards and Lessons of the Highland Broadsword“ und das „Hungarian and Highland Broadsword“. Bei letzterem ist abermals die Erwähnung Ungarns und des Highland Korbschwertes interessant. Angelo veröffentlichte zudem ein Poster mit 10 Lessons oder Divisions. Diese Arbeit wurde zur Standard-Fechtweise der British Army. Darauf basierte sogar Angelos „Naval Cutlass Exercise“ für das Entermesser der Navy und 1817 wurde sie nochmals als „Infantry Sword Exercise“ aufgelegt. Angelo war ein sehr angesehener Fechtmeister, dessen Familie schon lange vom 18. bis ins 19. Jahrhundert hinein das zivile und militärische Fechten lehrte.

Trainingsausrüstung im historischen Säbelfechten: Maske, Handschuhe, Fechtweste und stumpfer Stahlsäbel

Man kann sagen, dass die Militärfechtweise der British Army in der napoleonischen Epoche stark eine echte Standardisierung erlebte und adaptierbar war für die Gesamtheit der militärischen Blankwaffen – Säbel, Broadsword, Pallasch, Spadroon sowie das Entermesser. Auch Thomas Mathewson zeigt in seinem „Fencing Familiarized“ von 1805 diese verschiedenen Waffen.

Gefochten wurde in dieser Zeit vornehmlich auf den Hieb; Stiche wurden nur vereinzelt eingesetzt. Generell empfand man es als komplette Ausbildung, wenn man im Stoßfechten, also mit dem im Englischen Smallsword genannten Duelldegen umzugehen verstand und die militärischen Drills mit dem Säbel beherrschte. Essentiell ist dabei die Fußarbeit: Der Lunge, also der Ausfallschritt, bei welchem man ins Knie des vorderen Beines geht, während der hintere Fuß an seinem Platz und das Bein gestreckt verbleibt, bringt einen beim Angriff an den Gegner heran. Der Shift oder Slip ist ein Heranziehen der rechten Ferse an die linke (bei Rechtshändern) oder gar ein komplettes Zurücksetzen des Fußes. Dies hilft sowohl die Distanz in der Verteidigung zu wahren, als auch die Hiebwirkung des gegnerischen Angriffes abzuschwächen.

Der Angriff zum Bein des rechten Fechters, wird mit dem Slip und einem Konterhieb zum Handgelenk vom Fechter links beantwortet.

Das Militärsystem ist simpel gehalten und bedient sich der Nummerierung aller Cuts (Hiebe) nach ihren Winkeln, wie man es auch in modernen Waffensystemen macht. Dies konnten 6 oder auch 7 oder gar 8 Winkel sein, je nach Fechtmeister. Die Guards, also „Paraden“ zur Abwehr von Schnitten, sind nach ihrer Position benannt, z.B. Outside, Inside oder Hanging Guard. Die Drills der Fechtanleitungen sind so aufgebaut, dass man möglichst viele Rekruten gleichzeitig trainieren kann, ohne dass es ein Durcheinander in der Aufstellung oder Formation gibt. Auch dienen sie der Sicherheit der Soldaten, denn gefochten und geübt wurde damals noch mit wenig bis keinem Schutz. In Formation wurde auch schon mal mit der Dienstwaffe geübt. Trainingsschwerter direkt gab es nicht, jedoch den Singlestick.

Der Singlestick, ein Stab aus Eschenholz mit einem Handschutz aus Leder oder Korbgeflecht, repräsentierte das Broadsword und den Säbel als Übungsgerät gleichermaßen. Er war immer noch geeignet, um Platzwunden zu erzeugen, was übrigens ein beliebter Zeitvertreib auf Volksfesten in Britannien war. Auch die Stage-Gladiator genannten Preiskämpfer jener Epoche, also die ersten Boxer (altertümlich „Pugilism“ genannt) nutzten den Singlestick als Übungs- und Schauwaffe.

Hiebe wurden vornehmlich aus dem Handgelenk ausgeführt, maximal mit Unterstützung des Ellenbogens. Diese Fechtweise mit rotierenden Hieben, auch Moulinets genannt, machte den Säbel zu einer schnellen Waffe, die ohne übermäßigen Kraftaufwand geführt werden konnte. Kavalleriesäbel fielen naturgemäß etwas länger und schwerer aus bzw. kopflastiger, d.h. wie beim 1796 Light Cavalry Sabre verbreiterte sich die Klinge zur Spitze hin. Diese „Hatchet“-Klingenspitze hatte eine fürchterliche Hieb- und Schnittwirkung, wie man anhand von Berichten der napoleonischen Kriege sehen kann. Infanteriesäbel konnten noch stärker gekrümmt ausfallen. Aus der Epoche der napoleonischen Kriege gibt es Modelle, deren Klingen beinahe schon an die orientalischen Krummsäbel erinnern.

Der Fechter Links attackiert zentral zum Kopf, der Fechter rechts weicht zurück in die Hanging Guard.

Die Standardisierung der Fechtmethode und der Waffen brachte in Großbritannien ein recht einheitliches System hervor, das der Grundstein für die weitere Entwicklung im 19. Jahrhundert darstellte. Kein Wunder also, dass z.B. die Arbeit von Roworth/Taylor sogar 1824 nochmals neu aufgelegt wurde. Die Fechtübungen darin lassen sich auch mit den neueren Modellen der Briten, die in den 1820ern entstanden, durchführen. Und so mancher Veteran, der noch bei Waterloo kämpfte, versuchte seinen Lebensunterhalt als Fechtlehrer zu verdienen.

Auch in Frankreich war der Säbel die militärisch wichtigste Hiebwaffe. Es gibt zahlreiche französischsprachige Fechtanleitungen dazu, wie die von Saint-Martin oder Alexandre Valville. Letzterer führt als Einflüsse für sein Fechtbuch, das in Russland veröffentlicht wurde, sogar das Highland Broadsword und afrikanisches Stockfechten an.

In Deutschland finden sich ebenfalls im Laufe des 18. Jahrhunderts mehr und mehr Werke zum Hiebfechten. Was den Briten die Angelo-Dynastie war, war in den deutschen Landen wohl die Kreußler-Famile. Sie waren vornehmlich dem Stoßfechten verschrieben, zu dem es von Autoren wie Johann Andreas Schmidt schon im frühen 18. Jahrhundert Werke gab. Der bekannte Fechtmeister Friedrich August Wilhelm Ludwig Roux verfasste als einer der ersten seine „Anweisung zum Hiebfechten“, weitere Quellen sind Friedrich Kahn und August Fehn. Man muss dazu anmerken, dass die Einheitlichkeit der Fechtbücher Britanniens bei deutschen Autoren weniger vorherrscht. Allein schon gibt es keine Einigkeit über die genutzte Waffe, sei es ein krummer Säbel, ein Schläger, Haurappier oder Haudegen. Auch vermischen sich immer wieder das militärische Fechten und Duellkampf mit der studentischen Mensur. Was oft ins Auge fällt, ist die Nutzung einer gedeckten Fechtstellung, d.h. beim Angriff befindet sich die eigene Waffe immer so, dass man gleichzeitig vor Gegentreffern geschützt ist. Oft wird dazu in einer hängenden Auslage gefochten, ganz ähnlich der Hanging Guard des britischen Militärfechtens.

Der Fechter Rechts attackiert mit einem horizontalen Hieb zum Kopf, der linke Fechter setzt einen Fuß im Shift zurück und pariert mit der Inside Guard.

Die Trennung des Hieb- und Stichfechtens schien in Deutschland strenger gewesen zu sein. Eindeutige Erwähnung des sog. Rencontre-Fechtens auf Hieb und Stich ist dann aber immer auf die militärische Nutzung abseits von Duell und sportlicher Übung bezogen. Ein Fechtmeister, der in den 1830er Jahren die Vereinigung von Hieb und Stich lehrte und propagierte, war der gebürtige Mainzer F.C. Christmann.

Nach eigener Aussage ein Veteran der Napolenischen Kriege im französischen Sold und Fechtmeister diverser Akademien, veröffentlichte Christmann 1838 seine „Theoretisch – praktische Anleitung des Hau = Stoßfechtens und des Schwadronhauens“ in der zeitweiligen Wahlheimat Offenbach, wo er u.a. auch bei den dortigen stationierten Bundestruppen lehrte. Christmanns Kunst sollte das deutsche Hau- mit dem französischen Stoßfechten verbinden. Christmann widmet sich vornehmlich dem „krummen Säbel“ als optimale Waffe, erwähnt aber auch den Gebrauch anderer Waffen, wie dem geraden Pallasch oder dem kürzeren Infanteriesäbel. Das Schwadronhauen war für Gruppenkampf insbesondere zu Pferde vorgesehen. Der Einsatz des Säbels gegen mit dem Bajonett bewaffnete Gegner, berittene Lanzenreiter und dergleichen machen sein Werk sehr umfassend. Christmann erläutert auch ein wenig das Stoßfechten separat, sowie das Battonieren, also das Fechten mit dem Langstock. Im Anschluss erwähnt er zudem die Anwendung der Fechtprinzipien des Säbels bei der Notwehr mit einem Spazierstock, ein Thema, das übrigens einige Fechtmeister gerne erwähnten, wie z.B. Captain G. Sinclair in seinem 1790 erschienenen „Anti-Pugilism“. So ausgefeilt wie Christmann zeigen dies aber nur wenige.

Der Fechtmeister Christmann zog allem Anschein nach in den 1830ern und 1840ern mehrfach um, so dass er u.a. nach Kassel kam und später wieder nach Offenbach zurückkehrte. Gerichtsprotokolle geben Hinweise darauf, dass er wohl in Streitigkeiten mit anderen Fechtmeistern verwickelt war. Es scheint, als seien viele echte (oder manchmal wohl auch falsche) Fechtveteranen der napoleonischen Ära um eine Anstellung bemüht gewesen, was zu Streitigkeiten in ihrer Zunft führte.

Der Fechter Rechts attackiert mit einem horizontalen Hieb zur Brust, der linke Fechter setzt einen Fuß im Shift zurück und pariert mit der Outside Guard.

Auch Politik und Prestige bestimmten die Entwicklung des Fechtens in den deutschen Landen. Die noch nicht vereinte Nation vieler Königshäuser und Fürstentümer war uneinheitlich, auch wenn sich im Zuge der Befreiungskriege gegen die napoleonische Herrschaft unter Führung Preußens ein Nationalbewusstsein entwickelte. In Preußen begeisterte man sich kurzzeitig durch Arbeit von Hugo Rothstein (1848) für die Wehrgymnastik nach dem schwedischen System, welches durch den Vater der schwedischen Heilgymnastik Pehr Henrik Ling begründet wurde. Dieses beinhaltete neben Turn- und Heilmethoden auch das Fechten nach schwedischem Militärvorbild. Zeitweise nahm sie sogar Einfluss auf die ersten preußischen Entermesser-Modelle, welche insbesondere in der zur Spitze hin bauchiger werdenden Klinge zu sehen ist. Hierzu formulierte Rothstein die Theorie, dass man die Stichwirkung einer geraden Klinge mit der Hiebwirkung einer gekrümmten verbinden könne. Jedoch setzte sich alsbald auch wegen nationaler Gefühle die Turnerbewegung ihres Gründers Friedrich Ludwig Jahn durch.

Eng verbunden mit dem Säbelfechten ist auch das Bajonettieren oder Bajonett-Fechten. Dieses entwickelte sich ab dem frühen 19. Jahrhundert langsam zu einer wirklichen Fechtkunst, denn davor waren die Drills meist sehr simpel gehalten. Als Begründer des Bajonettfechtens in Deutschland gilt der sächsische Hauptmann von Selmnitz, der 1825 sein Buch „Die Bajonettfechtkunst oder Lehre des Verhaltens mit dem Infanteriegewehre als Angriffs- und Verteidigungswaffe“ veröffentlichte. Jener Selmnitz wird auch im Vorwort von F.C. Christmann lobend erwähnt.

Bei den Briten kam auch das Bajonettfechten durch den Einfluss der Angelos zur Blüte. In der 1793 erschienenen „Bayonet Exercise“ wird auch wertvolles Material für den Säbelfechter geliefert. Denn im Felde mussten sich Offiziere und Kavalleristen wohl am häufigsten gegen den mit Muskete und Bajonett ausgestatteten Soldaten im Kampf erwehren. Angelo zeigt aus Sicht des Bajonettfechters, was der Säbelfechter tun kann und wie man dagegen kontert. Daraus lassen sich natürlich umgekehrt auch Rückschlüsse aus Sicht des Säbelfechters ziehen. Somit ist es nicht verwunderlich, dass sich neben Angelo auch spätere Autoren, wie eben F.C. Christmann und der Brite John-Musgrave Waite der Abwehr des Bajonettes widmen.

Der Fechter Links greift mit einem Brusthieb an, der rechte Fechter zieht den Fuß im Slip zurück und pariert mit einer Inside Halfhanger Guard.

Ein wichtiger Aspekt ist es, den ersten Stich zu parieren und eine Bindung zu erzeugen. Das größte Risiko ist, dass der Bajonettfechter seine Waffe zurückzieht und nochmals zusticht. Um dies zu verhindern, ist der Einsatz der freien Hand nötig, welche Muskete oder Gewehr beim Schaft packt, so dass in der kürzeren Distanz der Vorteil des Säbels ausgenutzt werden kann. Natürlich hat auch der Bajonettfechter Möglichkeiten, dies wieder zu kontern, z.B. durch schmerzhaften Einsatz des Gewehrkolbens. Der Säbel durchlief mehrere Modernisierungen und immer neue Standard-Modelle wurden in allen Nationen entwickelt. Diese sind ein separates Thema für die Sammler alter Militaria und die historischen Fechter gleichermaßen. Die Verbesserungen konnten praktischer Natur sein, aber auch rein optischen Gründen oder Reglementierungen unterliegen.

Als man schon glaubte durch immer bessere Schusswaffen würde der Säbel langsam hinfällig werden, kamen immer wieder Anforderungen, welche den Einsatz von kaltem Stahl erforderten. Dies merkten vor allem die Briten in ihren Kolonialkriegen ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Hier mussten sie oft gegen Gegner kämpfen, die unkonventionellen Methoden und Guerilla-Taktiken folgten, denen sie dann oft im Nahkampf begegneten. Unwegsames Terrain wie dichte Dschungel, bergige Landschaften und Buschland machten die konventionelle, europäische Kriegsführung schwierig. Indigene Völker wie die Zulu in Südafrika oder die Maori in Neuseeland suchten gerne den Nahkampf und machten den Briten das Leben im Handgemenge schwer.

Der preußische Adelige Gustav von Tempsky, der im späten 19. Jahrhundert die Forest Ranger in Neuseeland während der Waikato-Kriege gegen die Maori ins Gefecht führte, war sich dessen wohl bewusst. Deshalb ließ er seine Männer mit Bowie-Messern ausstatten, wie er sie in seiner Zeit als Goldsucher in Kalifornien kennengelernt hatte, damit sie die Hiebe der furchtbaren Nahkampfwaffen der Maori abwehren konnten. Er selbst trug auch seinen Säbel ins Gefecht, dem Gemälde von Kenneth Watkins nach zu urteilen sogar, als er im September 1868 in der „Battle of the Beak“ im Kampf gegen die Krieger des Māori-Häuptlings Riwha Titokowaru fiel.

Der Fechter rechts attackiert mit einem Cut 3 aufwärts, Fechter Links pariert mit der Halfcircle Guard.

Jedoch ließ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur die Ausbildung, sondern auch die Qualität der Säbel und Bajonette zu wünschen übrig. Bemängelt wurde u.a. nach den Kämpfen im Sudan und der Schlacht von Tel-El-Kebir 1882. Man widmete sich neben neuen Qualitätstests, wie dem der bekannten Wilkinson Sword Co. Ltd. auch wieder vermehrt der praktischen Fechtkunst. Das Säbelfechten unterlag in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts starken Einflüssen durch italienisches Duellfechten mit leichten Säbeln. Militärsäbel blieben jedoch eher schwer und breit im Verhältnis dazu. Ein Vertreter der praktischen Anwendung des Säbels als Kriegswaffe war im späten 19. Jahrhundert der Engländer Alfred Hutton.

Hutton war ein Offizier der King´s Dragoon Guards und passionierter Fechter. Er war einer der Mitverantwortlichen eines ersten Wiederbelebens historischer Fechtkunst im viktorianischen Zeitalter. Er war ein Schüler von Henry Charles Angelo dem Jüngeren aus eben jener Fechterdynastie der Angelos. Jener Meister war der Superintendent Sword Exercise in the Army und hatte seine Infantry Sword Exercise von 1845 zur Standard-Ausbildung der Army gemacht. Huttons Vater war vor ihm schon Schüler von Henry Angelo dem Älteren gewesen, dem direkten Sohn des Dynastie-Begründers Domenico Angelo.

Im Jahre 1865 kehrte Hutton vom Dienst in Indien zurück. Hutton war Schüler und Freund des Angelo-Nachfolgers William McTurk geworden und nach seinem Armeedienst widmete er sich dem damals modernen Fechten mit Florett, Säbel und Bajonett. Mehr und mehr bekam Hutton jedoch Interesse an älteren Fechtmethoden von den Meistern des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. In seinem 1889 erschienenen Büchlein „Cold Steel“ präsentierte Hutton daher auch eine Mischung aus italienischem Duellsäbel, britischem Militärsäbel und starken Einflüssen des englischen Backswords und italienischer Schule des 16. Jahrhunderts, wie Marozzo. Hutton vereinte die moderne Schule mit den älteren Methoden zu einem praktischen System, das auch gegen Gegner in den Kolonialgebieten helfen sollte, wo man sich gegen Tulwar und Schild, Speere und Hiebwaffen aller Art verteidigen musste.

Der europäische Militärsäbel beeinflusste sogar das japanische Fechten. Nachdem sich Japan dem Westen zu öffnen begann, transformierte das Kaiserreich seine Armee und Marine mithilfe von ausländischen Beratern Ende des 19. Jahrhunderts in eine der besten damaligen modernen Armeen. Mit dem europäischen Fechten tat man sich schwer, insbesondere mit dem in Augen der Japaner eher nutzlosen Stoßfechten. Dieses wurde in der Ausbildung der Soldaten rasch wieder verworfen, das Säbelfechten den japanischen Gewohnheiten angepasst. So erschienen mehrere Ausgaben eines Drillbuchs zum Säbel und auch Bajonett, welche das Fechten mit dem Kyu-Gunto genannten Militärsäbel lehrte. Dieser war im Design ein Hybrid aus europäischen und japanischen Einflüssen, es gab sogar eine Variante, die mit Katana-Klinge und beidhändigem Griff ausgestattet war. In der Fechtanleitung sieht man Techniken, die dem europäischen Fechten entstammen, aber  „japanisiert“ wurden. Anstatt des Ausfallschrittes (Lunge) wird der hintere Fuß wie im modernen Kendo-Fechtsport nachgezogen. Hiebe holt man wie dort über dem Kopf aus und nutzt keine Moulinet-Drehungen des Handgelenks. Gefochten wurde in der traditionellen bogu (Fechtrüstung) mit kurzen Bambus-Schwertern (shinai, wie im heutigen Kendo). Im Laufe der 1920er und 1930er Jahre jedoch kehrte man in Japan – teils aus praktischen, teils aus nationalistischen Gründen – wieder zum Kendo und Kenjutsu zurück, sowie zu Militärschwertern (Shin-Gunto), die sich im Design wieder an den alten japanischen Katana orientierten.

Das Säbelfechten wurde jedoch um 1900 mehr und mehr zur sportlichen Disziplin und Körperertüchtigung. Im Zuge der Grabenkriege und Massenvernichtungswaffen im Ersten Weltkrieg wurde die Kavallerie zur Späh- und Meldetruppe und der Einsatz des Säbels ein unnützer Anachronismus. Jedoch blieb er wenigstens bei den Olympischen Spielen erhalten, bis er sich durch das Historische Fechten nun wieder neuer Beliebtheit in seiner alten, militärischen Form erfreut.

Trainingswaffen aus Stahl: Oben ein antiker Bayerischer M1826 Chevauleger-Säbel, zur Trainingszwecken stumpf geschliffen. Unten ein modernes Entermesser der Schmiede Wulflund.

Historisches Säbelfechten in Deutschland heute

Es gibt heute eine steigende Zahl von historischen Fechtvereinen, die sich nicht dem mittelalterlichen Langen Schwert, sondern dem Fechten mit Säbel und Pallasch des 18. und 19. Jahrhunderts widmen. Nicht nur in den USA, England, Italien und Frankreich, sondern auch hierzulande. Deutschland ist auch stolzer Veranstaltungsort des International Sabre Symposiums, das seit 2013 jährlich in Hamburg stattfindet. Hier finden sich Trainer und Fechter aus verschiedenen Ländern ein, um zwei Tage lang die verschiedenen Arten des Säbelfechtens und ähnlicher Waffen zu üben. Gäste und Lehrer reisten bisher schon aus Engand, Frankreich und Italien, aber auch Spanien, Polen und sogar den USA, Australien und Mexiko an (Weitere Infos: www.sabre-symposium.com).

Regelmäßiges Training kann man in Hamburg beim ANNO 1838 e.V. besuchen. Der Verein entstand im Zuge der Auffindung der Fechtquelle F.C. Christmanns aus dem bekannten Verein Hammaborg und widmet sich dieser ebenso wie der Aachener Verein Mispeldorn. Der Verein ist auch Mitglied des Deutschen Dachverbands Historisches Fechten (DDHF). (Infos: www.anno1838.de).

Ein Urgestein des historischen Fechtens in Deutschland ist die Alte Kampfkunst von Stefan Dieke in Wuppertal. Er ist mit Marcus Hampel von ANNO 1838 e.V. Mitorganisator des International Sabre Symposiums und bietet in seinen heimischen Hallen regelmäßiges Training mit dem Militärsäbel in britischer Tradition (Infos: www.alte-kampfkunst.de).

Bei der Broadsword Academy Germany trainiert man das Fechten mit dem Highland Broadsword im Regiments-Stil nach Sinclair, Angelo, Mathewson und anderen Quellen. Dazu wird auch der Kampf mit Broadsword und Targe (schottischer Schild) geübt, eine Besonderheit der Highlander im 18. Jahrhundert
(Infos: https://cateransociety.wordpress.com/).

Es gibt aber noch mehr Gruppen und Vereine: Die Freifechter in Köln haben sich Alfred Hutton wie auch Roworth/Taylor gewidmet und betreiben auch Bajonettfechten (Infos: www.freifechter.org). Beim Fechtsaal Krefeld organisert man ebenfalls Trainings mit dem Säbel (www.fechtsaal.de). Der Fechtboden Zimmermann in München bietet Hau- und Stoßfechten deutscher Schule neben dem Bajonettfechten an (fechtboden.jimdo.com). Dem deutschen Hiebfechten geht man auch in Recklinghausen beim Studio Neues Fechten nach (www.neuesfechten.de).

Dies sind nur einige Adressen und hier kann keine Vollständigkeit gewährt werden. Klar ist, das historische Säbelfechten ist auch in der Historischen Fechter-Szene noch ein wenig „exotisch”. Aber es bekommt mehr und mehr Zulauf.

Heutzutage kann man also wieder historisches Säbelfechten als interessanten Kampfsport ausüben. Ausrüstung mit speziellen Fechtmasken, gepolsterten Fechtjacken und Handschuhen, sowie geeigneten Übungswaffen erhält man inzwischen recht leicht im Fachhandel. Seien es stumpfe, fechttaugliche Stahlsäbel, anhand von Originalen gefertigte Repliken von Schmieden in Tschechien, Schottland oder Italien oder auch synthetische Trainingssäbel wie vom spanischen Hersteller Black Fencer. Fechten mit dem Militärsäbel lässt sich relativ kostengünstig und gut gesichert als schweißtreibende und spannende Kampfkunst ausüben.

Ein Kommentar zu “Der Militärsäbel – Geschichte und Praxis

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