Die Keule – Methoden zur Verwendung in der Selbstverteidigung und zur Körperertüchtigung im Deutschland des 19. Jahrhunderts

von Ben Miller, übersetzt von Ole Bunte

Die Verwendung der Keule als Waffe hat eine lange Geschichte in der deutschsprachigen Welt. Tatsächlich finden sich in Deutschland Beweise für spezialisierte Keulen, die zur Selbstverteidigung (oder zum Krieg) genutzt wurden, seit 2.700 Jahren, wie die Exemplare, die in Wiesmoor und Berumerfehn gefunden wurden. Eine Vielzahl antiker Keulen, in einer Vielzahl von Formen und Größen geschnitzt, wurden ebenfalls im Tollensetal aufgefunden, wo 1.300 v. Chr. eine prähistorische Schlacht mit tausenden Beteiligten geschlagen wurde.

Während des Mittelalters und der Renaissance wurden viele Arten von Keulen im Kontext von Gerichtsduellen verwendet, manchmal im Zusammenspiel mit einem Duellschild in der anderen Hand des Kombattanten. Während dieser Epochen wurden weiterhin viele Derivate der Keule, entweder wie der Streitkolben mit Stacheln versehen, oder in natürlicherer Form, auf dem Schlachtfeld benutzt.

Bild 4: Deutsche Postkarte, frühes 20. Jahrhundert, aus der Sammlung des Autors.

Wahrscheinlich wird nichts davon die moderne Leserschaft groß überraschen aufgrund der Tatsache, dass unsere Populärkultur seit langem durchsetzt ist mit Bildern von primitiven, prähistorischen Menschen und mittelalterlichen Kriegern, die derartige Waffen oftmals auf brutale Art und Weise schwingen. Was jedoch überraschend sein könnte, ist die Tatsache, dass die Keule in Deutschland weit bis in das 19. Jahrhundert sowohl als Selbstverteidigungswaffe als auch als Übungsgerät verwendet wurde. Weiterhin wurde die Verwendung der Keule in dieser Epoche nicht auf brutale, viel Stärke und Anstrengung verbrauchende Weise gelehrt. Stattdessen richtete sich der Fokus, trotz des Gewichts der Keulen, auf Präzision in der Stellung, Qualität der Bewegung, Bewegungsökonomie und der Ästhetik.

Bild 5: Neue Veröffentlichung: “Methods of Using the Club for Self-Defense and Exercise in 19th Century Germany”.

Um zu verstehen, warum dies der Fall war, muss man sich des soziokulturellen Kontexts der Epoche bewusst sein. Die zuvor erwähnten Keulen-Systeme wurden von Ärzten, Militäroffizieren und Fechtmeistern gelehrt. Diese waren hoch gebildete und gelehrte Menschen, die sich auf die Disziplin der perfekten Ausführung konzentrierten. Obwohl die Keule mit Zirkus-Kraftprotzen und Konzepten von Stärke und Mächtigkeit assoziiert wurde, konnten diese spezialisierten Systeme gar nicht anders, als von den Ideen und der Ästhetik der Epoche beeinflusst zu werden – eine Ästhetik, die versuchte, ein Gefühl von zivilisierter Schönheit zu propagieren und zu verherrlichen. Die Athleten, die diese Systeme praktizierten – auch wenn sie Kampfsportler gewesen sein mochten – waren auch die Art Mensch, die Poesie und Literatur lasen und klassische Musik hörten. Fechtveranstaltungen zum Beispiel beinhalteten neben der der Demonstration vom Fechten mit altertümlichen Waffen sowie von Box- und Ringkämpfen oft auch Livemusik- und Theater-Aufführungen.

Einige dieser deutschen Keulensysteme werden in meinem neuen Buch „Methods of Using the Club for Self-defense and Exercise in 19th Century Germany.” erkundet und untersucht. Diese Systeme können in die folgenden Kategorien unterteilt werden:           

  1. Ursprünglich deutsche Systeme, die typischerweise eine einhändig geführte Keule zur körperlichen Ertüchtigung und zum Kraftaufbau nutzen.
  2. Indo-Persische Systeme, importiert aus dem Ausland, die meist das gleichzeitige Schwingen zweier Keulen beinhalteten, die dann aber von europäischen Fechttechniken beeinflusst und modifiziert wurden, um „deutscher“ zu werden.
  3. Ein schwedisch-deutsches System, das eine zweihändig geführte Keule sowohl als schwere Waffe zur Selbstverteidigung als auch für die Kultivierung von Verstand, Körper und Geist benutzte.
Bild 6: Deutsche Postkarte, 1895, aus der Sammlung des Autors.

Es ist die dritte Kategorie, die eine der ungewöhnlichsten und ausgefeiltesten Systeme seiner Art beinhaltet, mit der sich unser Buch hauptsächlich beschäftigt. Dieses System wurde von Hugo Rothstein, einem deutschen Offizier, der Fechten und Gymnastik in Schweden studiert hatte, in Berlin gelehrt und propagiert. Rothstein war glühender Anhänger des schwedischen Systems des Fechtens und der Gymnastik, das im frühen 19. Jahrhundert von Pehr Henrik Ling aus Stockholm begründet worden war.

Die genauen Ursprünge von Rothsteins System sind ungewiss, wenngleich mehrere Möglichkeiten im neuen Buch erörtert werden. Was wir wissen ist, dass Rothstein die Verwendung der Keule in einer Vielzahl verschiedener Kontexte lehrte: Für die sportliche Übung, für Ästhetik und zur Selbstverteidigung. In anderen Worten war die Keule für ihn ein enorm vielseitiges Werkzeug, das zur Kultivierung geistiger, physischer und spiritueller Gesundheit genutzt werden konnte. Sie konnte ebenso als Waffe verwendet werden; obwohl Keulen in Deutschland während des 19. Jahrhunderts weder von Zivilisten noch von Soldaten getragen wurden, konnte in Notfällen wohlmöglich eine keulenähnliche Waffe gefunden und mit Geschick und Sicherheit eingesetzt werden. Rothsteins Kampfkunstsystem lehrte den Ausübenden, wie man effektiv eine lange, schwere Schnittwaffe (wenngleich auch stumpf) nutzte, und diese Theorie und Erfahrung konnte dann auf eine Vielzahl anderer langer, schwerer Objekte angewandt werden. Glücklicherweise hinterließ er uns ein prägnantes aber detailliertes System mit spezifischen Trainingsanweisungen, präziser Beinarbeits-Muster sowie einiger deutlicher Illustrationen.

Bild 7: Detail eines Manuskriptblattes, das Bauern oder wilde Männer zeigt, die mit Keulen und Schilden kämpfen. Aus einem Stundenbuch, 15. Jahrhundert, Französisch, Metropolitan Museum of Art.

Zudem war Rothstein nicht damit zufrieden, sich nur auf die Keule als Waffe zu konzentrieren. Zwei andere separate Zweige seines Gymnastiksystems beinhalteten die Verwendung der Keule zur sportlichen Übung und zu ästhetischen Zwecken.

Rothstein hatte eine kompromisslose Persönlichkeit und wurde unglücklicherweise Opfer einer politischen Kontroverse zwischen den rivalisierenden Fraktionen der Gymnastik dieser Zeit, die schlussendlich in seiner Entfernung aus Berlin und seinem späteren Tod resultierte. Als Resultat versank sein System in der Obskurität, obwohl es einige Hinweise darauf gibt, dass seine Keulenkampftechniken bis zum Ende des Jahrhunderts überlebten, als niemand anderes als Kaiser Wilhelm II. darauf aufmerksam wurde. Auch wenn Rothstein nicht mehr unter uns weilt, geben uns sein Ansatz und seine Methode, die durch seine Schriftstücke und Illustrationen einigermaßen bewahrt werden konnten, einen Einblick in die holistischen Ideen und die profunde Komplexität der Kampfkunst und der Trainingsmethoden des 19. Jahrhunderts.

Bild 10: Das „Königliche Centralinstitut“, 1851 abgebildet, wo Rothstein das Fechten mit der zweihändigen Keule gelehrt hat.

Methods of Using the Club“ beinhaltet umfassende Fußnoten, mehr als 65 Zeichnungen, Gemälde und Fotografien aus der Geschichte und sowohl eine englische Übersetzung als auch die deutsche Originalversion von Rothsteins Abhandlung.

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